Kritische Blicke auf die Gegenwart

EC Basel – Hamburg (Altona)

Die Besuche bei meinen Schwiegereltern in spe gleichen immer einem Staatsbesuch. Eine Abfolge von festgelegten Ritualen wird über ein Wochenende lang aufgeführt in ihrem Haus vor den Toren Frankfurts, im sogenannten Taunus. Gemeinsames Abendessen, Verkostung des neuen Lieblings-Primitivo, Lachs zum Frühstück, Kaffee und Kuchen, lange Spaziergänge, ein Besuch im Städel Museum oder alternativ in der alten Oper. Das volle Programm eben. Eigentlich fehlen nur die Dolmetscher. Dieses Zeremoniell erfolgreich, das heißt ohne diplomatische Zwischenfälle, absolviert, mache ich mich auf den Weg zurück nach Köln und besteige nach kurzer Fahrt mit der Regionalbahn am Mainzer Hauptbahnhof den EC Basel – Hamburg (Altona). Eine andere Welt. Eine bessere Welt.

Zwischen gänzlich schwarz gekleideten Studentinnen mit alternativer Attitüde, die sicher im zweiten Semester Philologie oder Theaterwissenschaften studieren, lasse ich mich nieder und sinke in die riesigen Sessel der SBB Langstrecke. Ein mehrfarbiges Caro-design auf originalgetreuen, anthrazit-grauen Sitzen wirft den Fahrgast unweigerlich in die 90er Jahre zurück und birgt darüber hinaus den Vorteil, dass sich in diesen Zügen zwei 1,90 m große Männer mit gestrecktem Bein gegenüber sitzen können, ohne mit den Zehenspitzen aneinander zu stoßen.  

Der Euro-City, wie sich der EC der Schweizer Bundesbahn offiziell nennt, setzt sich mit der vorgeschriebenen Gemächlichkeit in Bewegung. Beim verlassen der ZDF-Metropole und Julia-Klöckner-Gedächtnisstadt Mainz, streifen sich die Studentinnen Messenger-Rucksäcke der Firma Freitag ab. Diese Rucksäcke werden in Osteuropa aus alten LKW-Planen gefertigt, um dann für 200-400€ in Hamburger, Kölner oder Berliner Boutiquen an genau diese Studentinnen verkauft zu werden. Dabei ist jeder Rucksack total individuell. Jede LKW-Plane transportiert eine Geschichte. Toll. Den Rucksäcken werden nun gläserne Trinkflaschen mit Plopp-Verschluss und die neuesten Modelle des MacBook Air entnommen. Es wird getippt und die Techno-Ponys beginnen leicht im Takt des fahrenden Zuges zu wippen. Während sich die „girls“ – die sich bestimmt niemals so nennen ließen – gelangweilt ihre AirPods Pro in die Ohren drücken und auf ihre Laptops starren, betrachtete ich das Schauspiel vor dem Fenster. 

Die Strecke Mainz-Köln ist eine der schönsten Eisenbahnstrecken der Welt. Das haben die Engländer schon im 19. Jahrhundert erkannt, dass weiß der deutsche Rentner und das predigen diejenigen Amerikaner, die sich als kulturbeflissene Europa-Kenner verstehen. Mit einer Kohorte eben dieser Zusammenstellung finde ich mich vor der großen Scheibe unseres Abteils wieder, an der der Rhein langsam vorbeizieht und frage mich, ob ich rasant vorgealtert bin, oder ob meine Patentante recht hatte, als sie im Sommer vor fünf Jahren eine Flusskreuzfahrt auf dem Rhein vorschlug. Vor unseren Augen, hinter der Scheibe des Abteils 226, über die Techno-Ponys der Studentinnen hinweg, zieht ein Kulturschauspiel vorbei. 

Hinter Mainz steigen wie auf einer Theaterbühne aus Pappmaché geformte, grau-grüne Weinberge, Hänge und Haine in die pralle Sonne empor. Es scheint fast so als würde der Rhein auch uns mit seiner uralten Kraft an einer ewigen Richtschnur nach Norden ziehen. Immer wieder tauchen Burgen auf den Gipfeln der Hügel auf und ich frage mich, in welcher von diesen Thomas Gottschalk vor Jahren noch einmal seine Millionen versenkt hat. Bingen, St. Goar und andere Nester treten auf und ab vor unserer Scheibe im Abteil 226. Eine unendliche Modellbau-Welt wie von der Firma Faller in der Spurgröße H-0. 

Unsere kleine Märklin-Eisenbahn umfährt in einem großen Bogen den Felsen der Loreley und ich denke zwar auch an das Gedicht von Heine, suche aber bei Spotify einen Song gleichen Namens des dänischen Techno-DJs „Kölsch“ heraus. Kurz vor der Pandemie habe ich ihn unter dem Kölner Westbahnhof in einem Club, der „das Gewölbe“ heißt, einmal live gesehen. Ich drücke mein Handy an unsere Scheibe im Abteil 226 und nehme ein achtsekündiges Video der Umfahrung des Felsens auf. Auch ich mache nun eine Story bei Instagram und verlinke „Loreley“ von Kölsch darauf.

Als ich mir die Story etwa 30 Sekunden nach dem Upload noch einmal anschaue, schäme mich ein bisschen, dass auch ich ein Opfer bin, dass bei gutem Wetter und einem nicen view reflexartig die Kamera zückt. 

Mein Freund würde mich „Millenial“ schimpfen. Recht hätte er.

Eine Antwort zu „EC Basel – Hamburg (Altona)“

  1. Avatar von Braudel
    Braudel

    Über Orchideenfächer herzuziehen, können sich nicht alle leisten. Sie machen in dieser furchtbar peinlichen Faserland-Imitation indes eine solche Menge orthografischer Fehler, dass Ihnen das Studium der Klassischen Philologie, vielleicht auch einer Geistes- oder Gesellschaftswissenschaft dringend anzuraten wäre, weil es wohl zur erheblichen Verbesserung ihrer Rechtschreibung führte.

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