Die Fritteuse als letzte Bastion der Zivilisation: Eine Meditation über die niederländische Küche
Wenn man, wie ich, in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, die den morgendlichen Haferbrei als Ausdruck moralischer Überlegenheit betrachtet, begegnet einem die niederländische Küche wie eine Art kulturelles Endspiel. Es ist, als hätte man sich kollektiv entschieden, nicht mehr zu kochen, sondern nur noch zu erhitzen. Nicht mehr zu leben, sondern bloß zu überdauern – in heißem Fett.
Ich denke an eine Frikandel, die ich in einem winzigen Ort zwischen Amersfoort und Apokalypse aß. Es war keine Wurst, keine Boulette, kein Brät. Es war eine Textur. Eine greifbare Erinnerung an Dinge, die nie existiert haben: Tier, Gewürz, Sinn. Sie schmeckte nicht, sie war einfach – wie grauer Beton, der warm geworden ist.
Und doch: Die Niederländer haben aus dieser völligen geschmacklichen Unentschlossenheit eine Form gemacht. Eine Form, die man in Automaten bewundern kann. Snack-Automaten, in deren gläsernen, dampfenden Fächern sich Fleischimitate wie Reliquien der modernen Verweigerung ausstellen. Eine Messe des Unwesentlichen. Man wirft eine Münze ein und bekommt ein Nichts in Panade.
Der Kipcorn – eine panierte, obszöne Stange aus vorverdautem Huhn – liegt da, golden und leblos. Er erinnert mich an diese Kunstwerke von Jeff Koons: leer, glatt, teuer im Sinne von teuer an Bedeutungslosigkeit. In seiner völligen inhaltlichen Verweigerung wird der Kipcorn beinahe mystisch. Wie ein leerer Beichtstuhl.
Aber das eigentliche Sakrament der niederländischen Esskultur bleibt die Fritte – in Fett gebadet, in Mayo ertränkt, von Joppiesaus übertüncht. Joppiesaus, diese gelbliche Emulsion aus Zwiebeln, Curry und vermutlich auch Schuld. Eine Soße, die aussieht wie etwas, das ein Grundschulkind in einem Akt der Überforderung zusammengemischt hat und die doch, in ihrer unverhohlenen Hässlichkeit, die Seele wärmt. Oder vielmehr: betäubt.
Denn das ist es, worum es in der niederländischen Küche wirklich geht. Um Betäubung. Um den Versuch, durch völlige kulinarische Reduktion der westlichen Welt die Spitze zu nehmen. Wo Frankreich sich in Saucen ergeht, Italien in Pesto badet, Deutschland in Regeln erstickt, da steht die Niederlande am Imbissbudenrand und sagt: “Het maakt niet uit.” Es ist egal.
Diese Gleichgültigkeit ist nicht nihilistisch. Sie ist das Gegenteil davon. Sie ist eine tiefe, fast stoische Akzeptanz der Welt, wie sie ist. Frittiert. Zwecklos. Im Moment ein bisschen zu heiß.
Ich verließ die Snackbar an diesem Nachmittag mit einem Gefühl, das ich zuerst für Übelkeit hielt, später aber als Ehrfurcht erkannte. Denn ich hatte es verstanden: Die niederländische Küche ist kein Versehen. Sie ist eine Antwort. Auf was, das bleibt offen. Wie die Snackwall. Immer bereit, ein weiteres goldenes Nichts auszuspucken.
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